Jede*r Vierte

Psychische Erkrankungen in unserer Gesellschaft
Fokus Häufigkeit

Jede*r Vierte. In der Familie, im Freundeskreis, im Arbeitskontext, im Fußballverein, in der Schule, auf dem Campus, in der S-Bahn: mindestens eine von vier Personen wird – im statistischen Durchschnitt betrachtet – im Laufe eines Jahres eine psychische Erkrankung erleiden. Darauf möchten wir von der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB) mit unserer Kampagne Jede*r Vierte hinweisen.

Doch woher kommt diese Zahl und was bedeutet sie? Wir haben mit Prof. Dr. Frank Jacobi, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der PHB und deutschlandweit einem der renommiertesten Experten zur Häufigkeit, Krankheitslast und Versorgungslage psychischer Störungen, über diese Fragen gesprochen.

Jede*r Vierte – das ist eine konservative Zahl, also eine vorsichtige Schätzung, die aus Studien stammt, die einen möglichst repräsentativen Durchschnitt der Bevölkerung beschreibt. Es wird dabei ein für psychische Störungen bewährter Zwölf-Monats-Zeitraum betrachtet, und es werden nur die häufigsten versorgungsrelevanten Diagnosen berücksichtigt wie zum Beispiel Depressionen und Angststörungen, Süchte und Psychosen. Hierfür ergab eine umfangreiche, repräsentative Studie des Robert-Koch-Instituts und der TU Dresden aus den Jahren 2009 bis 2012 eine Prävalenz von 28 Prozent in Deutschland. Eine andere Studie, die einen Überblick über die Länder der EU lieferte, ergab jedoch sogar 38 Prozent.

Auch die Daten der Kostenträger sind eine wichtige Quelle der Erkenntnis, wie es um die Häufigkeit psychischer Erkrankungen bestellt ist. Nimmt man die Diagnosezahl, die im Versorgungsgeschehen für die Patientinnen und Patienten aufgeschrieben wurde, liegt die Prävalenz sogar deutlich höher, denn mittlerweile läuft sogar etwa jede*r Dritte gesetzlich Versicherte mit irgendeiner psychischen Diagnose herum. Allerdings werden im Versorgungsalltag Diagnosen jeglicher Art regelmäßig übercodiert, zum Beispiel wenn sie in den Patientendaten stehen bleiben, auch wenn mittlerweile die psychische Problematik schon wieder abgeklungen ist. Auf der anderen Seite kommt es aber auch zu Untercodierungen, denn viele Betroffene mit psychischer Erkrankung werden nach wie vor gar nicht als solche erkannt und behandelt. Insgesamt deutet übrigens der starke Anstieg in den Krankenkassendaten klar darauf hin, dass in den letzten Jahren bei einem Vorliegen einer psychischen Problematik zunehmend auch ärztliche oder psychotherapeutische Hilfe gesucht wird – dass also der Behandlungsbedarf gestiegen ist.

Man darf sich durch die Verschiedenheit solcher Prävalenzangaben nicht verunsichern lassen: sofern sie aus seriösen Quellen stammen, sind alle diese Werte auf ihre Weise korrekt, aber die Randbedingungen der jeweiligen Schätzung unterscheiden sich.

Zum Beispiel was die Art der eingeschlossenen Diagnosen angeht: viele solcher Untersuchungen betrachten vor allem Depressionen, Angststörungen, Substanzkonsumstörungen wie etwa Alkoholabhängigkeit und Psychosen. Nimmt man aber noch weitere Bereiche hinzu, wie etwa psychische Störungen im Kontext körperlicher Erkrankungen, Persönlichkeitsstörungen, Autismus, Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörungen (und es gibt noch viele weitere Diagnosearten) und erweitert das Thema sogar noch um verwandte organisch bedingte psychische Störungen und neurologische Erkrankungen wie etwa Demenzen, Epilepsie, Migräne, Multiple Sklerose (und auch hier gibt es noch viele weitere), dann kommt man natürlich auch zu höheren Häufigkeitsangaben. Das war auch bei der besagten EU-Studie der Fall, die deutlich mehr Diagnosen berücksichtigt hat als die Studie zur deutschen Bevölkerung.

Besonders kompliziert werden gute Prävalenzschätzungen dann übrigens auch noch dadurch, dass Betroffene häufig mehr als nur eine Diagnose haben, was man berücksichtigen muss, weil durch das einfache Aufaddieren der Häufigkeiten jeder einzelnen Diagnose man dann ganz schnell bei über 100% landen würde.

Aber wie gesagt gibt es gute Gründe, dass „Jede*r Vierte“ eine vorsichtige und robuste Schätzung und also keinesfalls übertrieben ist.

Ja, durchaus. Die Höhe der Prävalenz hängt auch immer stark vom betrachteten Zeitraum ab, also ob wir etwa den heutigen Tag, die letzten zwölf Monate, das bisherige Leben einer Person oder die gesamte Lebensspanne einschließlich der noch in der Zukunft liegenden Lebensjahre meinen. Nimmt man letzteres, das sogenannte Lebenszeitrisiko, dann können wir davon ausgehen, dass sogar über 60 Prozent der Menschen irgendwann im Leben betroffen sind.

Und es gibt noch eine Reihe an weiteren Faktoren, die man im Grunde kennen muss, um Prävalenzangaben richtig zu interpretieren. Zum Beispiel welche Population, also Zielgruppe, genau gemeint ist – denn es gibt durchaus Prävalenzunterschiede hinsichtlich des Geschlechts, des Alters und der Generation, sozialer Lage, Wohnort und so weiter.

Sie verweisen darauf, dass wir es mit einem höchst relevanten Bereich der Gesundheit in unserer Bevölkerung zu tun haben – übrigens nicht nur was die reine Menge der Betroffenen, sondern auch was den individuellen Leidensdruck und die gesellschaftlichen Kosten betrifft, die mit psychischen Erkrankungen einhergehen.

Letztendlich bedeutet es, dass psychische Gesundheitsstörungen in unserem Leben ebenso normal sind wie körperliche Gesundheitsstörungen. Nicht umsonst spricht die Weltgesundheitsorganisation, die WHO, von einem bio-psycho-sozialen Gesundheitsbegriff – und die psychische Gesundheit hat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend Aufmerksamkeit erfahren und an Bedeutung gewonnen.

Es ist enorm wichtig, dass wir diese Entwicklung ernst nehmen und dafür sorgen, dass es genügend gut ausgebildete Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen in Deutschland gibt – wozu wir an der PHB einen Beitrag leisten wollen. Ein anderer Punkt ist die Versorgungsplanung: der Zugang zu kostenloser und schneller psychotherapeutischer Versorgung muss flächendeckend gewährleistet sein. Deutschland ist im internationalen Vergleich hier eigentlich schon sehr gut aufgestellt, und es wurde viel unternommen. Es gibt aber noch viel Verbesserungsbedarf, damit wirklich alle Menschen, die psychotherapeutische Hilfe benötigen, diese auch bekommen.

Die Gesundheitsberichterstattung des Bundes kann man beim Robert-Koch-Institut (RKI) finden. Das RKI stellt seine Daten aus dem sogenannten RKI-Gesundheitsmonitoring zur Gesundheit im Allgemeinen und zur psychischen Gesundheit im Speziellen auf seiner Internetseite bereit.

Angaben zu unserer repräsentativen Studie „Psychische Störungen in der Allgemeinbevölkerung“, die ich eingangs erwähnt habe – also bei welcher Stichprobe welche Methoden genutzt wurden, um die Prävalenz zu bestimmen, und wie die Datenerhebung abgelaufen ist, sowie detaillierte Ergebnisse – finden sich hier .

Weitere interessante Informationen hierzu findet man in einem Dossier „Psychische Erkrankungen in Deutschland“ der Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN), eine der bundesweit größten medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften; siehe ebenfalls bei den Downloads.

Frank Jacobi ist Prorektor der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB), Psychologischer Psychotherapeut (mit Fachkunde Verhaltenstherapie) und Professor im Fachbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie. In seiner Forschungsarbeit beschäftigt er sich seit langem mit der Entstehung und Verbreitung psychischer Störungen sowie der Versorgungslage in Deutschland.

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Im Rahmen unseren Aktivitäten zu  Jede*r Vierte werden an dieser Stelle regelmäßig weitere Informationen bereitgestellt. Denn es ist uns wichtig, uns weiterhin Fragen zu widmen wie: Was unterscheidet eigentlich psychische Erkrankungen von alltäglichen psychischen Beschwerden? Wie gut – oder wie nicht-so-gut – ist die Versorgungslage? Wie können Betroffene eine Therapie oder andere Hilfe und Unterstützung bekommen? Gibt es in Deutschland eine Stigmatisierung – oder gar Diskriminierung – von Menschen mit psychischen Erkrankungen? Und was können wir als Gesellschaft tun, um (möglichst schon präventiv) mit dem Phänomen zunehmender psychischer Belastung und Beeinträchtigung angemessen umzugehen?

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Die Psychologische Hochschule Berlin (PHB) ist eine private Universität mit staatlicher Anerkennung, die zukunftsweisende Studien- und Ausbildungsprogramme in den Bereichen Psychologie und Psychotherapie anbietet. Erstklassige wissenschaftliche Ausbildung mit größtmöglicher Praxisorientierung und der Vermittlung verfahrensübergreifender Kompetenzen zu verknüpfen, ist das Credo der PHB. Vom Bachelorstudium bis zur Therapieausbildung wird an der PHB Psychologie sowohl als Wissenschaft als auch als Profession gelehrt.