Forschungsprojekt: Bewusste und unbewusste Komponenten der subjektiven Gegenübertragung

Projektträger: Heigl-Stiftung


Projektlaufzeit:
2021-2026
Projektleitung: Prof. Dr. Antje Gumz
Projektmitarbeiterinnen: Jelka Berger, Carmen Martinez Moura, Lili K. Kalmbach

Moderne intersubjektive bzw. interaktionelle und systemtheoretische Übertragungskonzepte gehen davon aus, dass es Therapeuten nicht möglich ist, sich Verwicklungen in der therapeutischen Begegnung zu entziehen (Gumz 2020). Therapeuten werden in schwierige Beziehungsmuster unmittelbar involviert und verstrickt (Gumz 2020; Gumz et al. 2008; Jacobs 1986). Aus systemtheoretischer Perspektive lässt sich die therapeutische Beziehung im Therapieprozess als ein selbstorganisierendes Gesamtsystem beschreiben. Die Elemente jedes Subsystems stehen in komplexer Wechselwirkung. Hierdurch stellen sich unwillkürlich und zwangsläufig bestimmte dynamische Ordnungszustände her. Der systemtheoretische Begriff des Attraktors lässt sich entsprechend wie folgt auf den Übertragungsbegriff anwenden (Gumz et al. 2008): Der jeweilige Attraktor (attraktiver Systemzustand) zieht Subsysteme des der Patientin und des Therapeuten an, ordnet sie pathologisch (versklavt sie). Aus systemtheoretischer Sicht entsteht therapeutische Veränderung, wenn ein stabiler Ordnungszustand des Systems soweit destabilisiert wird, dass ein Punkt kritischer Instabilität erreicht wird, von dem aus das Systemverhalten schlagartig in einen neuen stabilen Ordnungszustand übergehen kann. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist eine therapeutische Spannung oder Krise ein entscheidender Wendepunkt, der die therapeutische Beziehung auf ein neues Level heben kann (Gumz et al. 2008; Gumz, Bauer u. Brähler 2012; Gumz, Geyer u. Brähler 2014).  Dennoch fürchten sich Psychotherapeuten oft davor, mit Patienten in solche Situationen zu geraten oder nehmen Indikatoren für Spannungen oder Krisen als therapeutischen Makel wahr (Reuter, Walther u. Gumz 2021).

In unserem qualitativen multimethodischen Projekt haben wir Therapeuten aller Richtlinienverfahren zum Erleben einer konkreten Spannung oder Krise in der Therapiebeziehung befragt. Unsere Analysen deuten darauf hin, dass in Spannungssituationen frühere biographische Beziehungserfahrungen von Therapeuten
aktualisiert werden und dass erfahrenere, d. h. mehr als fünf Jahre
approbierte Therapeuten ihre persönliche Beteiligung bei der Entstehung und Auflösung von Spannungen und Krisen stärker reflektieren.

Im Anschluss an die Interviews in unserer Studie fanden Gruppensupervisionssitzungen statt, in denen Rollenspiele zu den jeweiligen Spannungen und Krisen durchgeführt wurden. Die Rollenspiele analysieren wir mittels tiefenhermeneutischer Textinterpretation (König et al. 2019), einer Methode, bei der das Übertragungskonzept auf die Beziehung zwischen Text und Rezipienten angewandt wird. Unsere bisherigen Analysen zeigten, dass es bei den herausfordernden Therapieszenen häufig um Themen ging, bei denen subtile Formen der Grenzüberschreitung, Abstinenzverletzung sowie Machtbedürfnisse und Wertvorstellungen der Therapeuten eine Rolle spielten.

Unsere Projekte in diesem Themenbereich sollen einen Beitrag dazu leisten, die Rolle der Therapeuten an der Entstehung und Aufrechterhaltung von Spannungen und Krisen näher zu beleuchten. In diesem Kontext sollen die Ergebnisse auch zur aktuellen Debatte bezüglich einer offeneren Fehlerkultur in der Psychotherapie (Schleu 2019)
und zu einer Atmosphäre, die durch Toleranz gegenüber Fehlbarkeiten und eigenen Unsicherheiten gekennzeichnet ist, beitragen (Gumz 2024).

Kooperationspartner: Prof. B. Strauß, FSU Jena

Kontakt: a.gumz@phb.de

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Prof. Antje Gumz