„Die Zeit drängt“: Finanzierung psychotherapeutischer Weiterbildungen im Bundestag verhandelt

Ein für die psychotherapeutische Versorgung in Deutschland essentielles Thema wird am 3. Juli öffentlich im Deutschen Bundestag verhandelt: die „Petition zur Finanzierung der Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“, die von mehr als 70.000 Menschen unterzeichnet wurde. Der Hintergrund: auch wenn die Reform der psychotherapeutischen Ausbildung in Deutschland längst beschlossene Sache ist – unklar ist weiterhin, wie sie finanziert werden soll.

 

Dass durch Nachjustierung auf Seiten der Gesetzgebung eine tragbare Lösung gefunden wird, ist die Hoffnung klinischer und ambulanter Ausbildungsinstitute – denn solange es keine präzise gesetzliche Regelung gibt, werden Lösungen nur durch individuelle und möglicherweise langwierige Verhandlungen mit den Krankenkassen erarbeitet werden können. Die Leidtragenden dabei sind – neben den Instituten selbst – vor allem Psychologiestudierende, die eine psychotherapeutische Weiterbildung anstreben.

 

Vor der Anhörung im Bundestag haben wir Dr. Günter Koch, Geschäftsführer der PHB, zu seiner Bewertung der Petition befragt.

Dr. Günter Koch, Geschäftsführer der PHB

Lieber Herr Dr. Koch, am 3. Juli findet im Deutschen Bundestag die Anhörung zur Petition „Finanzierung der Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und -therapeuten statt“, die auch von vielen Angehörigen der PHB unterzeichnet wurde. Worum geht es bei dieser Petition?

Der Bundestag hat am 15. November 2019 eine Reform des Psychotherapeuten-Gesetzes beschlossen und festgelegt, dass künftige Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ein klinisches Masterstudium absolvieren müssen, an das sich eine Approbationsprüfung und eine fünfjährige Weiterbildung anschließen. In diesem Herbst werden Absolventinnen und Absolventen dieses neuen Masterstudiengangs in größerer Zahl erwartet – es gibt jedoch noch kein Angebot an psychotherapeutischen Weiterbildungen, da die Finanzierung unklar ist. Die Petition fordert, dass die für die Durchführung der Weiterbildungen notwendigen finanziellen Mittel durch entsprechende gesetzliche Regelungen bereitgestellt werden.

 

Was genau soll mit der Petition erreicht werden?

Durch den Bundestag wurde zwar festgelegt, dass die Weiterbildung im Anstellungsverhältnis und mit angemessener Vergütung stattfinden soll. Es fehlt allerdings völlig eine Regelung dazu, wie sich Weiterbildungsstätten, die die künftigen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten anstellen sollen, refinanzieren können. Solange nicht klar ist, aus welchen Quellen die Vergütung der Weiterbildungsassistentinnen und Weiterbildungsassistenten kommen soll und ob diese in ausreichender Höhe zur Verfügung stehen, werden weder Kliniken noch ambulante Einrichtungen die notwendigen Stellen einrichten können.

 

Die Konsequenz wäre, dass die nun ihr Studium abschließenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihre Weiterbildung in Ermangelung entsprechender Stellen nicht beginnen können. Durch den fehlenden Nachwuchs würde sich die ohnehin schon unzureichende Versorgung der Bevölkerung mit Psychotherapie weiter verschlechtern.

 

Diese prekäre Perspektive wird noch verschärft durch die Tatsache, dass das Durchschnittsalter der praktizierenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in etwa bei 55 Jahren liegt. Viele von ihnen werden in den nächsten Jahren in den Ruhestand eintreten und ihren Versorgungsauftrag zurückgeben. Schon jetzt müssen Patientinnen und Patienten viele Monate auf einen freien Platz in einer psychotherapeutischen Praxis warten. Wenn die Politik hier nicht rechtzeitig gegensteuert, indem sichergestellt wird, dass für die ausscheidenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in ausreichendem Umfang Nachwuchs zur Verfügung steht, wird sich dieser Engpass drastisch verschlimmern. Patientinnen und Patienten in seelischer Notlage müssen damit rechnen, dass sie vielleicht erst nach einem Jahr endlich Hilfe bekommen.

 

Darum fordert die Petition, dass die Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten endlich finanziell angemessen abgesichert wird.

 

Wie kann man die Petitionsinitiative unterstützen?

Die Petition wird am 3. Juli im Bundestag im Sitzungssaal 3.101 verhandelt. Alle, die es ermöglichen können, sollten an diesem Tag als Besucher der Sitzung beiwohnen und durch ihre Präsenz den Abgeordneten die Bedeutung des Themas verdeutlichen.

 

Welche anderen Wege können gegangen werden, um die Finanzierung der künftigen psychotherapeutischen Weiterbildungen zu ermöglichen?

Die PHB leistet ihren Beitrag zu einer baldigen Problemlösung – in dem ihr möglichen Rahmen. So haben wir die Berliner Krankenkassenverbände zu Verhandlungen über die Vergütung ambulanter psychotherapeutischer Leistungen im Rahmen der Weiterbildung aufgefordert. Wir erwarten einen ersten Verhandlungstermin im Juli und werden alles tun, um zu einem schnellen Ergebnis zu kommen. Bislang gibt es unseres Wissens solche Verhandlungen bundesweit noch nicht, so dass wir diesbezüglich eine Vorreiterrolle einnehmen.

 

Angesichts fehlender gesetzlicher Grundlagen ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt allerdings völlig unklar, ob die Kassen bereit sind, die Kosten für die Weiterbildung und die Vergütung der Weiterbildungsassistentinnen und –assistenten in ausreichendem Umfang zu übernehmen.

 

In drei Sätzen – wie ist der aktuelle Status Quo der Reform insgesamt und wie ist Ihre Einschätzung für die Umsetzung der Reform?

Aktuell läuft der Akkreditierungsprozess für die künftigen Weiterbildungsstätten bei den Landespsychotherapeutenkammern. Diese Anerkennungsprozesse werden voraussichtlich bis zum Herbst abgeschlossen sein. Im September finden bundesweit die Prüfungen nach der neuen Approbationsordnung statt. Unmittelbar danach werden Weiterbildungsplätze in ausreichender Zahl gebraucht. Die Zeit drängt. Wir setzen darauf, dass der Gesetzgeber die von ihm selbst geschaffene Notlage behebt und die Kassen verpflichtet, angemessene Mittel für die Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zur Verfügung zu stellen.

Dr. Günter Koch ist Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut. Er ist seit Gründung der Psychologischen Hochschule Berlin (PHB) ihr Geschäftsführer und Kanzler.

Mehr Infos

Zur Petition

 

Infos zur Anhörung im Bundestag:

 

Die Sitzung findet im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101, statt. Einlass wird ab etwa 11:30 Uhr sein.  Die Anhörung zur Petition „Finanzierung der Weiterbildung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten“ findet gegen 13:15 Uhr bis 14:30 Uhr als zweites Anhörungsthema statt.

 

Bei Interesse der Teilnahme können Sie sich unter vorzimmer.peta@bundestag.de anmelden. Die Anmeldung dient aber ausschließlich der beschleunigten Einlasskontrolle.

 

Im Anschluss an die Anhörung findet um 15:00 Uhr neben dem Nordeingang des Reichstagsgebäudes eine „Versammlung“ der Unterstützer*innen statt. Zu dieser „Versammlung“, zu der auch Mitglieder des Deutschen Bundestages erwartet werden, laden wir Sie ebenfalls herzlich ein.