Rechtspsychologie an der PHB: Das Auftreten von Kindeswohlgefährdungen in Deutschland ist ein gesellschaftlich sehr relevantes und zudem wachsendes Problem. Die Tragweiten gerichtlicher Entscheidungen bezüglich staatlicher Schutzmaßnahmen in familienrechtlichen Verfahren bei drohender Kindeswohlgefährdung sind zweifellos sehr groß. Ein verpasster Eingriff zum Schutz des Kindes kann genauso schwerwiegende Folgen haben wie eine fälschliche Herausnahme eines Kindes aus seiner Herkunftsfamilie.
Psychologische Sachverständigeneinschätzungen können wichtige Erkenntnisse in den hier relevanten Kinderschutzverfahren liefern. Sie haben in der Regel auch ein hohes Gewicht bei der gerichtlichen Entscheidungsfindung. Von Seiten der Wissenschaft wird jedoch unter anderem kritisiert, dass systematische Kenntnisse zur Reliabilität (Zuverlässigkeit) und Validität (Gültigkeit) von Kindeswohlprognosen durch psychologische Sachverständige und Familiengerichte noch an vielen Stellen fehlen. Entsprechende Erkenntnisse können jedoch wesentlich zur Verbesserung der Genauigkeit von Entscheidungen in Kinderschutzverfahren beitragen.
Unter Leitung von Prof. Dr. Jelena Zumbach-Basu wird in einem aktuellen DFG-Projekt die Reliabilität (Zuverlässigkeit) von psychologischen Sachverständigeneinschätzungen über künftig zu erwartende Kindeswohlgefährdungen untersucht. Weiter werden auch die darauf aufbauenden Entscheidungen von Familiengerichten in die Analyse einbezogen. Auf Basis von Gerichtsakten werden Kinderschutzfälle mittels eines strukturierten Prognoseinstruments re-analysiert. Hierzu wird, aufbauend auf international vorliegende Befunde, ein deutschsprachiges prognostisches Instrument zur Risikoeinschätzung von kindeswohlgefährdendem Elternverhalten (weiter-) entwickelt.
Ein weiterer Fokus der Studie liegt auf der Untersuchung der psychischen Gesundheit und sozialen Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen, die ein Kinderschutzverfahren durchlaufen. Es wird untersucht, wie diese Faktoren mit der Empfehlung von psychologischen Sachverständigen und mit den Entscheidungen der Familiengerichte über Kinderschutzmaßnahmen zusammenhängen. Im dritten Schritt wird analysiert, ob die Sachverständigenempfehlungen durch die Gerichte in der Praxis umgesetzt werden und welche Indikatoren die Gerichte ihrer Beschlussfassung zur Anordnung von Maßnahmen in der Praxis zugrunde legen.
Perspektivisch wird mit diesem Projekt der Grundstein für längsschnittliche Untersuchungen gelegt, die auch über den Abschluss von Kinderschutzverfahrens hinausgehen. So können wichtige Erkenntnisse über die langfristigen Wirkungen der durch Familiengerichte beschlossenen Maßnahmen in Kinderschutzverfahren und deren Umsetzung erlangt werden.
Das DFG-Projekt ist im September 2023 im Arbeitsbereich Familienrechtspsychologie der PHB gestartet und ist auf drei Jahre angelegt. In diesem Praxis- und Forschungsfeld liegt eine derart umfassende Datenerhebung in Deutschland bislang nicht vor. Die Studie wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert und durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) unterstützt.
Das Projekt wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.